Ausstellung im SCHAURAUM Corinna Claassen „Hairy Fairies“, Eröffnungstext
11.11.10 -2.12.10
Eröffnungstext
C.Claassen ist keine klassische Bildhauerin, sie arbeitet mit Vorliebe
mit gefundenen oder extra ausgesuchten Gebrauchsgegenständen, die sie miteinander in ungewohnte Beziehungen setzt oder so wie sie in ihren vielen Videofilmen in außergewöhnlichen Choreografien zum Leben erweckt. So wird aus einer Nackenrolle, der ein Fransenvorhang über drapiert wurde ein Unwesen, das seiner urtümlichen Bewegung erstarrt den Betrachter doch gleich an schnüffeln könnte.
Corinna Claassen lässt die Dinge nicht so wie sie sind,
das Konkrete wird verbannt und
mit wenigen Eingriffen lockt sie unsere Fantasie heraus und wir werden unmerklich gezogen in eine Welt, in der Sinnlichkeit,
die Urbedürfnisse von Nähe und Geborgenheit, Wachstum, Lust und Triebe aber auch Versagen, Ohnmacht und Angst ja Hilflosigkeit thematisiert werden.
Bei den „Hairy fairies“ treffen wir auf die gleiche Thematik, doch hat C.C. auf Fundstücke verzichtet. Die drei großformatige Skulpturen sind ganz unspektakulär aus Pappmaschee hergestellt, farbig gefasst.
Amorphe Formen, groß und prall
breiten sie sich im Raum aus,
surreal kommen sie daher und
verharren mitten in einer Bewegung ihres Seins,
das wir als Betrachter gerade zu stören scheinen.
Die Fairies sind Flügelose Feen und somit völlig hilflos und zu scheinbar keiner Fortbewegung fähig und doch von solcher Mobilität, dass man sich zweifelsohne fragt, was wohl passiert, wenn das Licht aus ist.
Die Intimität der Dinge, die hier von C.C. aufgeworfen werden lassen den Blick des Betrachters voyeuristisch und die abstrakten Figuren zu Lust
gesteuerten Wesen werden, die uns hier schelmisch und gnadenlos vorgeführt werden.
Bei all dem begegnet uns ein Humor, der an Fischli und Weiß denken lässt und eine Ästhetik, vergleichbar der von Eva Hesse.
In Ihrer Schwüllstigkeit erinnert Claassen vielleicht an Bourgeoise, doch finden wir bei Ihren Arbeiten nie Verzweiflung,
sondern mit Ironie und Witz, den alle Arbeiten deutlich ausströmen verweist sie uns auf die Leichtigkeit des Seins und die vielen Möglichkeiten, die zu erkennen gar nicht so schwer sind, denn was quälen sich die zwei Münder in dem Video „cheek to cheek“ sich, bedarf es doch nur einer viertel Drehung und der romantische Filmkuss ist da.
In dem Sinne wäre die Ausstellung eröffnet.
Josephine Bonnet
Ausstellung im SCHAURAUM Corinna Claassen „Hairy Fairies“
Corinna Claassen bespielt den Schauraum mit großen Objekten. Die Szene, in die sich der Betrachter dieses Mal im Schauraum begibt, mutet surreal an. Kleiner als gewohnt steht der Mensch den Formen gegenüber, die in den Augen des Betrachters sofort zu Wesen werden. Betitelt als „Fairies“ - Elfen - breiten diese unerwartet flügellos prall und wolllüstig ihre buntlackierten Rundungen aus. Ihre Formen, hergestellt aus Pappmaschee, erinnern genauso an menschliche Körperlichkeit wie an Formen aus der Tier- und Pflanzenwelt und bleiben dennoch abstrakt. Trotz quitschbunter Farbigkeit wirken diese Wesen eher schutzbedürftig. Aller Extremitäten, die zur Fortbewegung taugen könnten beraubt, verharren sie in einen Zustand, der sie höchst angreifbar und verletzlich macht. Sie als „Fairies“ zu bezeichnen hat etwas gemeines.
Corinna Claassen bringt uns zurück in eine Kinderwelt. Unprätenziös und leicht kommen die Objekte daher. Sie sind aus einem Material hergestellt, das man als Kind kennengelert hat. Auf der Suche nach einem autentischen Ausdruck begibt sich die Künstlerin in eine Spielwelt, in der sie ganz nach Belieben zerstören, heilen und neu erschaffen kann – ganz nach dem Vorbild der großen Bildhauerin Louise Bourgeois. In dieser Spielwelt kann man eine Form herstellen und ihr gleichzeitig Gewalt anzutun, sie sinnbildlich der Flügel berauben. Die Objekte nehmen den Betrachter mit in diese Welt, in der Urkreatürliches wie Berührung und Nähe, Lust, Ohnmacht, Angst, Schutz und Schmerz immer wieder neu bebildert werden. Die erschaffenen Formen in einem intimen Zustand den Blicken von Betrachtern auszusetzen, gehört zu den unterschwelligen kleien Brutalitäten, die das Harmonische und Freundliche Arbeiten von Corinna Claassen ironisieren.
Urlaubslandschaft
Duftig weißverschneite Gipfel, saftige Wiesen im Sonnenschein vor entferntem Gebirge, Sandstrand
am Meer mit kristallklarem Wasser unter endlos blauem Himmel: drei Fotografien von Urlaubsidylle zeigen.
In der Landschaft fotografiert sind jeweils Paare im Partnerlook, einträchtig genießende Protagonisten
im Urlaubsparadies.
In der Vorstellung tritt man trotz übertriebener Süßlichkeit des Sujets gerne an die Stelle derer, deren
flüchtiges Urlaubsglück hier festgehalten ist. Aber Moment, mit wem identifiziert sich eigentlich da der Betrachter?
Ein nüchterner Blick ruft zurück, sind die Schneetouristen doch zwei Johannisbeeren, die vermeintlichen
Bergwanderer Mandarinenschnitze und die braungebrannten Sonnenanbeter an der See zwei Stachelbeeren.
Die Schneelandschaft enttarnt sich als Angorapullover, eine Welle als Stück Frischhaltefolie und die
saftige Wiese als Spannbetttuch.
Lässt man sich von den Bildern einfangen, nimmt man an etwas Teil, das an ein Kinderspiel erinnert:
wie in der kindlichen Vorstellung entkommen die Dinge hier ihrem eigentlichen Zweck und werden
zu Wesen, mit denen man fühlt. Als Sujet erlaubt ist in diesem Verwandlungsspiel
alles, was die Sinne reizt: mal ist es fürchterlich innig und idyllisch, wie in
den vorliegenden Arbeiten, mal wird brutal zerstört. Grundvoraussetzung damit das
Spiel stattfinden kann ist, dass Material vorhanden ist, das im Umgang Lust bereitet.
Lust bereiten kann es durch Farbe, die haptischen Eigenschaften oder dadurch,
dass es zum Handeln einläd, wie es eine Dose mit Rasierschaum tut, die geleert werden möchte.
Das Foto hält fest, was im Spiel mit den Dingen entsteht. Trotzdem haben die Bilder
wenig dokumentarischen Charakter. Indem sie Objekt, Installation oder die Endprodukte einer
Aktion zeigen stehen sie der Bildhauerei nahe. Der durch den Sucher eingeschränkte Blick
erlaubt es aber, die Dinge zu animieren: Im Gegensatz zur Installation kann im Foto genau
festgelegt werden, in welchem Winkel man Beispielsweise die Fruchtnabe einer Beere sieht,
damit sie so wirkt wie ein Gesicht. Die Nahaufnahme ermöglicht darüber hinaus winzigkleine
Dinge zu inszenieren. [zu den Bildern]
rote Tücher
In der vorliegenden Arbeit wird der Betrachter Zeuge eines Spiels:
Die Künstlerin fotografiert sich selbst mit roten Spannbetttüchern in einem Badezimmer.
Dabei befindet sie sich gleichzeitig vor und hinter der Kamera. Während des Fotografierens verbiegt
sie sich bis zur Schmerzgrenze und erreicht, dass ihre Beine, Füße oder eine Hand ins Bild hineinragen.
Sie macht im wörtlichen Sinne einen 'Schritt' ins Bild. Im Bild werden die Gliedmaßen anatomisch verwirrend autonom.
Sie agieren mit den roten Spannbetttüchern und der Ausstattung des Badezimmers, wie Wanne, Waschbecken,
Duschkopf oder gekachelter Wand. Raum und Mobiliar verändern dabei ihren Charakter und finden eine neue Bestimmung:
Der Stuhl wird zur Behausung, der Wasserhahn zu einem Wesen mit langem Hals,
der Duschkopf erhält ein gaffendes Gesicht.
Die elastischen roten Tücher sind gespannt, faltig hingeworfen oder drapiert. Einmal sind sie
schützendes Dach und weiche Decke, ein anderes Mal lassen sie eine fleischige Höhle und Blutlachen
assoziieren. Im Changieren zwischen süßlicher Heimeligkeit und Brutalität entwickelt sich eine
unangenehme Spannung. Ein intimes, bittersüßes Spiel, von dem die Bilder Zeugnis ablegen.
Der Umgang mit dem Raum unterstützt diese Atmosphäre: Der Bildausschnitt ist jeweils so gewählt,
dass sich der Raum als Ganzes nicht erschließen lässt. Dem Betrachter fehlt der Überblick.
Er weiß nicht, was außerhalb des Blickfeldes noch lauert. Der nicht sichtbare Raum wird zur
Projektionsfläche seiner eigenen Vorstellung.
Die Fotografien sind auf unterschiedlichen Höhen und - gemessen an ihrer Größe - weit auseinander
gehängt. Diese Art der Präsentation zwingt den Betrachter, sich zu bewegen. Um genauer zu sehen, muss
er gehen, den Kopf neigen, die Knie beugen, sich recken. In seiner Bewegung vollzieht er die Bewegung
der Fotografin und den Neigungswinkel der Kamera nach. Er bewegt sich zum
Motiv hin, kommt ihm nahe. [zu den Bildern]
Pressemitteilung
Projekt Schaukasten Augusten 100
Eröffnung 21.11.03, 19.00 Uhr.
Der Schaukasten ist abgeklebt. Durch Guckfenster in unterschiedlicher Höhe wird der Blick auf Paare
von Gegenständen aus dem täglichen Gebrauch freigegeben. Wie durch den Sucher einer Kamera wird
das Blickfeld eingeschränkt und damit gezielt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Details
gelenkt: Paare von Kaugummis, Haken, Stöpsel, Tuben und Tüllen werden hier zu lebendigen Wesen.
Sie nehmen Kontakt zueinander auf, sinnen in stiller Eintracht oder sind innig vereint.
Zunächst überwiegt eine Atmosphäre süßlicher Idylle. Auf den zweiten Blick verändert sich die Stimmung.
Die Situation bekommt etwas Voyeuristisches, schließlich sind es Paare, die der Betrachter da durch Guckfenster beobachtet.
Dabei wird er zum Zeugen einer Beziehung, die unter Zwang entsteht. Die zu Wesen gewordenen Gegenstandspaare können
sich hinter den Fensterchen der Zweisamkeit genauso wenig entziehen wie den Blicken des Betrachters.
Gegenstände zu Wesen mit Seele zu animieren spielt in den Arbeiten von Corinna Claassen,
deren Medium neben Installation und Video vor allem die Fotografie ist, eine zentrale Rolle:
Blumen werden verarztet, eine Invasion von Pepperonis fällt über Tortenstücke her und Beeren
machen Strandurlaub. Durch den begrenzten Blick des Suchers und die Nahaufnahme gelingt es,
dem Betrachter eine humorvoll kindliche Sichtweise nahe zubringen, die die gesamte Dingwelt
zu Wesen macht, mit denen man fühlt.